Noch vor zehn Jahren spielte Paul R. Mensch-Ärgere-Dich-Nicht und Rommé mit seinen Enkeln. Mit knapp über 80 Jahren fühlt sich der Münchner heute zu alt dazu. Zu oft hört er von anderen, dass er doch nun wirklich zu alt zum Spielen sei. Gaby Hasler schüttelt hierzu nur den Kopf.
Die Dipl. Spielpädagogin und Erwachsenenbildnerin hat sich darauf spezialisiert, Senioren spielerisch geistig zu stimulieren und flexibel zu halten. «Um die eigene Flexibilität nicht zu verlieren, muss das Gehirn konkret trainiert werden. Sonst büßt man mit der Zeit die Fähigkeit ein sich selbst zu strukturieren und Pläne umsetzen zu können.» Hierbei schwört Hasler vor allem auf sensorisches Aktivierungstraining und herkömmliche Spiele.
«Mit Sinnesspielen wie sich Gegenstände zu merken, Gerüche zu erkennen oder Geräusche zu raten werden alle Sinne und Systeme des Menschen angesprochen.» Älteren Menschen wird so der Zugang zu den eigenen Fähigkeiten erleichtert. Am besten werden Geist und Körper gleichzeitig trainiert, meint Hasler. «Heute wissen wir, dass wir ein Drittel unseres Gehirns benutzen, wenn wir die Finger bewegen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass wir eben dieses Drittel trainieren, sobald wir die Finger bewegen.»
Mit dem Würfeln beim Mensch-Ärger-Dich-Nicht spielen wird neben der Feinmotorik also gleich auch das Gehirn auf Trab gehalten. Solch herkömmliche Spiele wecken zudem Erinnerung an vertraute Worte, Gerüche, Geräusche oder taktile Erfahrungen. «Spielen ältere Menschen ihnen bekannte Spiele, wächst ihr Selbstvertrauen, dies noch zu können. Das wiederum gibt ihnen Mut, auch mal wieder etwas Neues zu lernen.»
Mögliche Aktivierungsspiele:
- Sinnesspiele
- Schach
- Würfeln
- Brettspiele
- Domino
- Kartenspiele
- Jenga
- Memory
- Bingo
- Videospiele
Graue Substanz wächst
Gerade Neues zu erlernen ist besonders wichtig, um den Geist fit zu halten. Beim Lernen neuer Bewegungsabläufe wächst nämlich auch das Gehirn von Senioren noch zusehends mit seinen Aufgaben, fand das Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig heraus. Bereits nach etwa einer Stunde Training beginnt sich das Gehirn neu zu organisieren, die graue Substanz nimmt zu. Man kann dem Gehirn also förmlich beim Lernen zugesehen.
Dabei handelt es sich allerdings nicht um Nervenzellen, die neu gebildet werden. Nach derzeitigem Wissensstand ist dies im erwachsenen Gehirn nur noch selten möglich. Vielmehr bilden sich während des Trainings neue Verbindungen zwischen Nervenzellen, sogenannte Synapsen. Diese sind wichtig, um Informationen aus dem Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis zu übertragen. Ein gängiges Problem mit fortschreitendem Alter, so Hasler. «Altersbedingt verlangsamt sich die Verarbeitungsgeschwindigkeit und manche Dinge gelangen immer öfter nicht ins Langzeitgedächtnis.»
Doch auch dies kann trainiert werden, versichert die Spieleexpertin. «Dafür muss man nur geistig aktiv bleiben, Neuem gegenüber offen sein und möglichst viel üben.»
Spielerisch selbständig bleiben
Senioren geistig und körperlich zu beschäftigen wird heute als Aktivierung bezeichnet. Ziel und Zweck der Aktivierung ist, die sozialen, seelischen, geistigen und körperlichen Fähigkeiten zu erhalten. So kann möglichst lang die eigene Selbstständigkeit bei alltäglichen Bewegungsabläufe gewährleistet oder nach Krankheit wiedererlangt werden. Wichtig ist hierbei auf die jeweilige Person einzugehen.
Denn: Unsere früheren Fähigkeiten bleiben uns auch im Alter erhalten. Wir sind also auch im Alter noch in genau den Dingen gut, die wir vorher bereits beherrschten. Je nach körperlicher und geistiger Fitness bieten sich unterschiedliche Beschäftigungen an:
Aktivitäten, um fit zu bleiben:
- Backen, Kochen, Gartenarbeiten, Handwerk, Pflege von Haustieren
- Basteln und Malen
- Bewegung und Tanzen
- Musizieren und Singen
- Pflege bekannter Abläufe
- Lesen und Vorlesen
- Sport, Spaziergänge und Ausflüge
- Brettspiele, Kartenspiele und Computerspiele
- Fremdsprachen lernen
Studien zeigten, dass regelmäßige 20 bis 30-minütige Übungseinheiten ausreichen, um die kognitiven Fähigkeiten signifikant zu verbessern. Ebenso verbessern bereits 20-minütige Übungen zur körperlichen Aktivierung nicht nur die Motorik, sondern verhindern auch die Hälfte aller Stürze. Bereits zwei Treffen pro Woche in Gruppen von 6-8 Personen sind hierfür ausreichend.
Aktivierungseinheiten:
- Körperliche Aktivierung: 20-minütige Übungen
- Kognitive Aktivierung: 20 bis 30-minütige Übungen
- Entspannung: 10-minütiges Programm wie z.B. Musik hören oder Geschichten hören
Für Hassler ist Freude an den Aktivierungseinheiten der eigentliche Schlüsselfaktor zur geistigen und körperlichen Fitness. «Nur wenn das Spiel Freude und Sinn macht, macht man es gern und ist gewillt zu üben.»
Videospiele im Kommen
Enormen Spaß bereiten Haslers Erfahrungen nach vielen Senioren heute auch Spielkonsolen. Im fortschreitenden Alter hapert es zwar zunehmend mit der Technologie. «Das technische Gehirn muss ebenfalls trainiert werden, damit man in der digitalen Welt auch weiterhin zurechtkommt.» Hasler rät Senioren dazu, beim Anblick der Kinder oder Enkelkinder, die bereits digitale Profis sind, nicht ins Zweifeln zu geraten, ob man das überhaupt noch schaffen kann. Der Touchscreen von Tablets sei geradezu ideal, um ältere Menschen an Neues heranzuführen. «Am Touchscreen macht man intuitiv alles richtig, die Spiele-Apps sind farblich sehr ansprechend und mittlerweile wurden extra für ältere Menschen Spiele entwickelt.»
Dass Computerspiele positive Auswirkungen auf die kognitiven Fähigkeiten von Senioren haben, weiß man schon länger. Je nach Spiel werden dabei unter anderem Hand-Augen-Koordination, Gedächtnis, Arbeitsgedächtnis, Reaktionszeiten, strategisches Denken und Vorstellungskraft trainiert. Erst vor kurzem konnte eine südafrikanische Studie zeigen, dass insbesondere bei Gedächtnisbeschwerden interaktive Videospiele sogar einen positiveren Effekt auf die kognitiven Fähigkeiten von Senioren haben als herkömmliche multimodale Übungen.
Wichtig: «Man muss an sich selbst glauben», so Hasler. «Mit dem richtigen Werkzeug, am richtigen Ort zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt, lassen sich wahre Wunder bewirken.» Selbst bei Angst vor Versagen oder einfach nur Lustlosigkeit, könne der richtige Zugang helfen, aktiv zu werden. «Vielmehr sind es die eigenen Blockaden und hohen Ansprüche an uns selbst, die uns in der heutigen Leistungsgesellschaft glauben lassen, etwas nicht erlernen oder schaffen zu können.» Hasler ist sich sicher: «Das eine Spiel gibt es immer, dass einen Menschen neugierig macht und teilnehmen lässt. Man darf sich nur nicht vom Umfeld ins Boxhorn jagen lassen.»
Text: Regina Röttgen